Künstliche Intelligenz (KI) & ChatGPT in der MICE-Branche – Deshalb kann der Mensch nicht ersetzt werden
Zusammenfassung des Blogbeitrags
Wie verändert künstliche Intelligenz die Reisebranche? Welche Auswirkung KI auf die Arbeit von Eventplaner:innen hat und wieso der Mensch nicht ersetzt werden kann, lesen Sie in diesem Interview mit einer Expertin auf dem Gebiet der Künstlichen Intelligenz.
Beim Stichwort KI und AI kamen den meisten bis vor kurzem wahrscheinlich zuerst Filme wie I, Robot, Ex Machina oder Matrix in den Kopf. Jetzt machen Namen von Tech-Giganten wie ChatGPT (Open AI), BARD (Google) und ANTROP/C Schlagzeilen und sorgen für eine ganz reale Verknüpfung mit dem Thema “Küntliche Intelligenz”.
Die Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) hat sich in den letzten Monaten rasant entwickelt. Es ist also kein Wunder, dass Morgan Stanley (US-amerikanisches Investmentbanking- und Wertpapierhandelsunternehmen) diese neue Technologiewelle als potenzielle 6-Billionen-Dollar-Chance bezeichnet! KI wird alles verändern, auch die MICE-Branche, sagen einige Wissenschaftler:innen und KI-Expert:innen voraus - aber was genau ist Künstliche Intelligenz eigentlich?
Um ein besseres Verständnis für die Funktionsweise von KI zu bekommen und die potenziellen Veränderungen zu antizipieren, denen Destinationsmanagementorganisationen (DMOs) und Veranstaltungsplaner:innen in Zukunft begegnen könnten, haben wir vom visitBerlin Berlin Convention Office mit der Expertin Dr. Nakeema Steffbauer gesprochen. Steffbauer ist Software-Beraterin und treibt seit über 15 Jahren die digitale Transformation von Unternehmen in Europa und Amerika voran.
In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die grundlegende Definition von KI und geben Impulse, wie KI in der MICE-Branche Anwendung finden kann.
visitBerlin Berlin Convention Office: Was genau sind ChatGPT und KI, Dr. Nakeema Steffbauer?
Steffbauer: „Der Begriff "KI" oder künstliche Intelligenz sorgt oft noch für Missverständnisse. KI basiert auf auf Algorithmen, die auf Basis großer Datensätzen trainiert werden, in diesen Daten so schnell wie möglich Muster zu erkennen.
Sobald diese Muster erlernt sind, können sie auf neue Daten angewendet werden. Das Ergebnis ist eine *Datenextrapolation, in der Regel in Form von Empfehlungen oder "Vorhersagen", z. B. welches Buch oder welchen Pullover Sie mit großer Wahrscheinlichkeit kaufen werden, basierend auf dem, was andere Käufer:innen mit ähnlichem Kaufverhalten bereits gekauft haben.
ChatGPT ist ein algorithmisches System, das auf eine Fülle von Textquellen aus dem Internet (wir wissen noch nicht genau, welche) trainiert wurde und nach Aufforderung Textzeichenfolgen produziert. Es nutzt eine Hochgeschwindigkeitsfunktion zur Vorhersage (mit einem hohen Maß an Zuverlässigkeit), welcher Text am wahrscheinlichsten auf den vorhergehenden folgt. Es kann also verschiedene kategorisierte Schreibstile (und Autoren) nachahmen. Deshalb kann man ChatGPT z.B um einen Text "im Stil" eines bekannten Autors bitten und erhält Textstrings (Zeichenfolgen), die dessen Wortwahl, Formulierung usw. ähneln. Es steckt also keine Intelligenz im klassischen Sinne dahinter. Ein sehr gut trainierter Algorithmus zur Textvorhersage kann aber den Eindruck erwecken, als stecke ein denkendes, "intelligentes" Wesen hinter dem von ihm ausgegebenen Text.“
* (Daten)-Extrapolation beschreibt die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses auf Basis der vorangegangenen Daten/Ereignisse
Welche Einsatzmöglichkeiten bietet KI-basierte Technologie unter anderem?
„Es gibt viele verschiedene Spezialgebiete, die der Begriff "KI" abdeckt. Darunter Computer Vision, Natural Language Processing (NLP) und Prozessautomatisierung. Computer Vision wird eingesetzt, wenn es um Gesichtserkennung oder biometrische Scans von Gesichtern, Iris usw. geht. Beim NLP geht es um die Verarbeitung geschriebener oder gesprochener Sprache und die Ableitung von Mustern und Voraussagen von Wortfolgen, auf der Grundlage der Analyse von schriftlichen und/oder gesprochenen Gesprächen. Unter Prozessautomatisierung versteht man eine Reihe von Schritten, die durch algorithmische Ausführung beschleunigt werden, wie z. B. das automatische Ausfüllen von Formularen oder das Scannen und automatische Abschreiben von Zahlungsbelegen.“
Welche Auswirkungen könnten KI und Chatbots Ihrer Meinung nach auf den Sektor MICE haben?
„KI-Chatbots könnten eine Möglichkeit sein, historische Führungen durch die Stadt und ihre Sehenswürdigkeiten auf bestimmte Themen zuzuschneiden, die für die Besucher:innen von Interesse sind. Generative KI-Bildgebungsalgorithmen könnten eingesetzt werden, um die frühere Berliner Landschaft oder eine künftige Landschaft auf der Grundlage bestimmter architektonischer oder umweltbezogener Vorgaben nachzubilden. Konferenzteilnehmer:innen oder Tourist:innen könnten diese Darstellungen dann in Echtzeit neben der heutigen Stadt betrachten. Da KI-Systeme auf historische Text-, Bild- oder Videodatensätze zurückgreifen, um neue, extrapolierte Inhalte zu erstellen, könnten diese *immersiven Ansätze dazu beitragen, die Geschichte der Stadt - und ihre mögliche Zukunft - in den Vordergrund zu rücken.“
*Immersiv leitet sich von Immersion ab und beschreibt den Zustand vom realen Empfinden einer virtuellen Umgebung.
Artificial Intelligence Touchscreen
Welche Schwierigkeiten gibt es im Zusammenhang mit künstlicher Intelligenz?
„Die Hauptschwierigkeit besteht darin, dass die Daten, die zum Trainieren algorithmischer Systeme verwendet werden, auch als Grundlage für zukünftige Entscheidungen dienen. Das bedeutet, dass in historischen Datensätzen erkannte Muster die Grundlage für künftige Korrelationen und Empfehlungen bilden, die ein Algorithmus zu geben lernt, selbst wenn er mit neueren Daten arbeitet. Angenommen, Terabytes von Daten, die die Bewegungen von Kongressbesucher:innen zeigen, führten dazu, dass ein Muster zwischen dem Diebstahl von Werbeartikeln und Männern, die Mäntel tragen, erkannt wird. Die Installation von Computer-Vision-Algorithmen (auch "KI" genannt) könnte dazu führen, dass Kongressbesucher:innen, die als männlich eingestuft werden und Mäntel tragen, als potenzielle Diebe gekennzeichnet und für eine zusätzliche Überprüfung, Kontrolle ihrer Taschen und Beutel usw. empfohlen werden. Dies ist nur eines von mehreren Beispielen der Grenzen von "KI"-Algorithmen. Diese Beispiel zeigt auch, wie stark vergangene Ergebnisse zukünftige beeinflussen. Wenn etwas oder jemand in historischen Datensätzen als verdächtig (oder kriminell) eingestuft wird, nimmt ein Algorithmus, der auf diesen Daten trainiert wurde, diese Kennzeichnungen als "Grundwahrheit" und wendet sie auf zukünftige Daten an.“
Wie können DMOs wie visitBerlin und Veranstaltungsplaner:innen KI datenschutzkonform nutzen?
„Der sicherste Weg zur Anwendung von KI im öffentlichen Kontext wäre, Prozesse zu ermitteln, die bisher nur umständlich umsetzbar sind. Das Automatisieren dieser Prozesse durch KI kann dazu beitragen, das Kund:innenerlebnis zu verbessern. Wie praktisch wäre z.B. der Einsatz automatischer Übersetzungsalgorithmen, damit mehr Besucher:innen den Kongress in ihrer bevorzugten Sprache erleben? Im Bereich der textbasierten automatischen Übersetzung ist DeepL, ein in Deutschland ansässiges KI-Unternehmen, auf jeden Fall eine der Firmen mit einer Vorreiterrolle."
Wie sollten Dienstleistungsunternehmen ihr Angebot anpassen, um sich von KI zu abzusetzen?
„Der Hauptunterschied zwischen einem KI- oder Chatbot-generierten Service und echten Menschen liegt in der Flexibilität: Automatisierte Systeme erlauben nicht die Spontanität eines Live-Tourguides, der Anekdoten oder Empfehlungen auf Grundlage seiner eigenen Erfahrungen weitergeben kann. Daher sollten Dienstleistende Wege finden, die menschlichen Interaktionen mit den Besucher:innen der Stadt zu verstärken. Sei es der Unterschied zwischen einem Live-Radreiseführer und einem Chatbot, der die Route vorgibt oder der Unterschied zwischen einem Übersetzungsdienst beim Besuch einer Berlinale-Veranstaltung und ausgewiesenen Personen, die Ihre Sprache sprechen und Ihnen bei Fragen helfen können.
Bei einer Reise in die Stadt Petra (Jordanien), hatte ich die Wahl zwischen einer Audiotour oder einem Live-Guide. Ich entschied mich für die persönliche Variante und bin sehr froh darüber. Denn sie erweckten die Stadt auf eine Weise zum Leben, wie es ein nicht-menschlicher, nicht-beduinischer, nicht-jordanischer Guide niemals hätte können. Ich bin sicher, dass Berlin-Besucher:innen das genauso empfinden würden.“
Abschließend: Wie würden Sie Berlin in Ihren eigenen Worten beschreiben?
„Berlin ist der Ort, an dem ich mich am meisten zu Hause fühle, seit ich New York City verlassen habe. Berlin ist ein Ort, an dem man sich zwanglos kleiden kann, die historische Vergangenheit und die Zukunft erlebt, so anonym sein kann, wie man möchte und trotzdem mit Menschen aus der ganzen Welt in Kontakt kommen kann.“
Die Reise- und MICE-Branche basiert auf der persönlichen Begegnung
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Fortschritte in der KI das Potenzial haben, verschiedenen Branchen großen Nutzen zu bringen. Allerdings darf man den Wert der menschlichen Interaktion nicht außer Acht lassen. Die Reise- und MICE-Branche basiert maßgeblich auf der persönlichen Begegnung und hervorragender Kund:innenbetreuung, die von Maschinen nicht reproduziert werden können.
Deshalb ist eine Integration von KI in den Arbeitsalltag sinnvoll, sollte aber nicht dazu führen, die persönlichen Erfahrungen und direkten Beziehungen zwischen Kund:innen, Arbeitgebenden, Arbeitnehmenden usw. zu ersetzen - denn diese persönlichen Begegnungen machen am Ende den Unterschied. Mit diesem Ansatz kann die Nutzung und Integration von KI zu einem unschätzbaren Gewinn für die Branche werden.
Über Dr. Nakeema Stefflbauer
Dr. Nakeema Stefflbauer ist Expertin für Softwareentwicklung und verfügt über mehr als 15 Jahre Erfahrung in der Leitung der digitalen Transformation von Unternehmen in den USA und Europa. Sie ist Gründerin und Geschäftsführerin von FrauenLoop, einem in Berlin ansässigen Netzwerk für Computerprogrammierung für in der EU ansässige Frauen, Migrantinnen und Flüchtlinge. Sie ist weltweit als Speakerin tätig und klärt in Vorträgen über die Auswirkungen algorithmischer Systeme auf Randgruppen auf. Sie ist außerdem aktive Angel-Investorin für Atomico, die in technologie- und KI-getriebene Softwareunternehmen in Europa investieren.
Vielen Dank für das Interview!
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